Am Bahnhof Engstingen war noch mehr geboten als Dampfzüge und Essen: Auf dem Stumpfgleis hinter dem Bahnhofsgebäude (das früher mal über die Honauer Steige nach Reutlingen weitergeführt hat) stand noch der Fahrradwagen der SAB mit einer Fotoausstellung, und auf der V 50 001 wurden Führerstandsmitfahrten angeboten.
Die hin- und herfahrende Lok hatte ich schon am Vormittag aus der Ferne gesehen (siehe Bild 5), jetzt konnte ich sie mir nochmal aus der Nähe anschauen:
Bild 16
Und noch ein Bild von den vielen kurzen Pendelfahrten:
Bild 17
Nachdem ich selbst eine Runde mitgefahren war (ohne Fotos), die Fotoausstellung betrachtet und mir noch ein Stück Kuchen gegönnt hatte, wurde es langsam wieder Zeit für Dampf. Ich fuhr der aus Münsingen kommenden 97 501 etwas entgegen bis zu dem markanten Einschnitt in der Nähe von Kohlstetten.
Erst sah man hinter dem Hügel ein paar Rauchschwaden aufsteigen, dann ein paar Lichter im Einschnitt um die Kurve kommen, und dann tauchte "Paula" pfeifend daraus auf:
Bild 18
Laut Fahrplan sollten die letzte Rückfahrt nach Münsingen mit beiden Loks stattfinden. Ich vermutete, dass in Engstingen einfach beide Züge "Rücken an Rücken" zusammengekuppelt werden würden. Und so war es dann auch. Nach einiger Wartezeit, in der die Schatten immer weiter auf die Schienen zukrochen, rollte der Zug kurz vor Offenhausen durch die Kurve:
Bild 19
Neben mir standen noch viele weitere Fotografen an dieser Stelle. Aber dank Fahrrad war ich wohl der einzige davon, der schnell genug am Gestüt vorbeifahren konnte, um den Zug nach dem Halt in Offenhausen noch ein zweites Mal aufzunehmen:
Bild 20
Das ist die gleiche Stelle wie bei Bild 4, nur diesmal von der anderen Seite.
Beim Auskundschaften von eben jener Fotostelle hatte ich am Vormittag nach eine andere Aussicht entdeckt, etwas weiter in Richtung Gomadingen. Dort wartete ich auf die letzte Hinfahrt des Tages.
Ich musste vergleichsweise lange warten, aber mit ca. 10 Minuten Verspätung kamen die beiden NE81 doch noch um die Kurve gedieselt:
Bild 21
Ich folgte dem Zug bis kurz vor Kohlstetten, wo ich die Rückfahrt abwartete. Wegen der besseren Ausleuchtung zeige ich hier den Nachschuss:
Bild 22
An der Stelle bin ich schon oft vorbeigefahren (liegt ja direkt am Radweg), aber bisher gab es irgendwie nie die Gelegenheit für ein Foto...
Obiges Bild von der letzten Zugfahrt des Tages auf diesem Streckenabschnitt entstand um viertel nach fünf. Jetzt galt es nur noch, wieder zurück nach Stuttgart zu kommen. Und das dauerte deutlich länger als gedacht.
Der erste Teil war noch einfach: Von Engstingen aus konnte ich die ehemalige Bahnstrecke nach Reutlingen runterfahren. Bis zum Reutlinger Südbahnhof ist die Strecke heutzutage ein Radweg (sonst hätte sich Paula am Vortag den großen Umweg sparen können).
Der Abschnitt zwischen Reutlingen Süd und Hbf ist ebenfalls stillgelegt, überwiegend liegen hier aber noch die Gleise. Da es parallel dazu Straßen und Wege gibt (abschnittsweise sogar beidseitig), stört das beim Vorankommen aber nicht groß.
In einem tiefen Einschnitt (mittlerweile natürlich völlig zugewachsen) steht sogar noch das Reutlinger Einfahrsignal. Und ein paar Meter Gleis lassen immer noch gut erahnen, wo die Strecke aus Honau früher in den Hauptbahnhof einmündete:
Bild 23
Im Landesarchiv Baden-Württemberg habe ich ein altes Vergleichsbild aus ähnlicher Perspekte gefunden. In den mehr als 60 Jahren hat sich viel verändert, aber paar Dinge sind immer noch zu erkennen (die beiden im weiten Bogen führenden Gleise nach Stuttgart, die mittlerweilse fast vollständig von Bäumen verdeckten Güterschuppen rechts und das ebenfalls fast von Bäumen verdeckte Empfangsgebäude in der Ferne links).
Der Bahnsteig, von dem damals die Züge nach Honau abgefahren sind, ist ebenfalls noch vorhanden (Bahnsteigkante in der rechten Bildhälfte), wächst aber auch immer mehr zu:
Bild 24
Im "nur" 55 Jahre alten Luftbild sind rechts von diesem Bahnsteig noch drei (Abstell-)Gleise zu erkennen. Heute parken dort Autos.
Von Reutlingen aus fahren zwei bis drei Züge pro Stunde nach Stuttgart, mit einer Fahrzeit zwischen 45 und 52 Minuten.
Sollte also nicht so schwer sein, nach Hause zu kommen, oder? Die SWEG war da anderer Meinung...
Den IRE 6 um 18:09 Uhr verpasste ich um ca. fünf Minuten. Und weil mir das vorher schon klar war, habe ich noch die obigen Bilder gemacht und war dementsprechend noch etwas später am Bahnhof.
Der MEX 12 um 18:16 Uhr fiel aus.
Der MEX 18 um 18:43 Uhr wurde zwischenzeitlich mit 20 Minuten Verspätung angekündigt, kam dann aber doch nur fünf Minuten später als geplant. Aber der Zug bestand nur aus einem einzelnen dreiteiligen Triebwagen (sonst fahren auf der Strecke oft auch zwei zusammengekuppelte Fünfteiler), der nach dem vorherigen Ausfall so überfüllt war, dass ich mit meinem Fahrrad keine Chance hatte, noch reinzukommen.
Der MEX 12 um 19:16 Uhr fiel aus.
Der MEX 18 um 19:43 Uhr fiel aus.
Der IRE 6 um 20:09 Uhr war zwar auch wieder nur ein einzelner Dreiteiler, aber überraschenderweise nicht mehr ganz so voll, sodass ich noch mitkam.
Um 21 Uhr war ich dann endlich in Stuttgart - ganze zwei Stunden später als wenn ich mich auf dem Weg von Kohlstetten nach Reutlingen fünf Minuten mehr beeilt hätte
Bahnfahren kann auch heutzutage noch ein echtes Abenteuer sein.
Viele Grüße
Benny